drag me down

Eigentlich hielt er sich nicht sonderlich häufig in Bars auf. Das Wort „eigentlich“ war eigentlich auch richtig fürn Arsch… eigentlich. Ja, genau. Nein, aber wirklich. Bars waren merkwürdig. Meistens waren sie verraucht und in vielen gammelten nur komische Leute umher, die irgendwann einen letzten Rülpser von sich gaben und dann den Boden küssten, weil die Schwerkraft ihren fetten Arsch nicht mehr auf dem Hocker hielt. Eigentlich lief das immer so ab… eigentlich. Dieses verdammte „eigentlich“.
Flüchtig blitzten die Augen des Dunkelhaarigen schwarz auf. Ab und an verlor er immer noch die Kontrolle. In seiner Zeit war das ausgesprochen schlecht. Immerhin hatte man es auf Leute wie ihn abgesehen. Es gab nur noch sehr wenige Dämonen in Amerika. Miami war da noch ein gutes Pflaster. In Detroit oder Lawrence waren überhaupt keine dämonischen Aktivitäten erkennbar. Dabei waren diese Städte früher Hochburgen für Dämonen gewesen. Tja… good old times. Jetzt war alles irgendwie beschissen. Und deswegen trugen Nicolas’ Beine ihn auch in eine Bar. Natürlich schlug ihm sofort der Rauch der Zigarren und Zigaretten entgegen. Dort hinten in einer Ecke erkannte er sogar das sanfte Glimmen einer Pfeife.
Er ertappte sich dabei, dass er immer noch im Eingang stand. An seiner Vorderseite spürte er bereits die Wärme, die von dem beheizten Raum ausging, doch in seinen Rücken zog der kalte Wind von draußen. Schließlich gab sich Nick einen Ruck und trat auf die Theke zu. Dort ließ er sich auf einem Barhocker nieder. Sein Arsch war im Gegensatz zu vielen anderen hier nämlich schmal und fand gut auf dem dunkelroten, abgewetzten Leder Platz.
„Jacky-Cola ohne Eis“, bestellte er beim Barmann und löste schließlich den blauen Schal, den er sich um den Hals gewickelt hatte. Den brauchte er hier drinnen nun wirklich nicht.

Wie das Brummen eines Motors im Auto oder das Schnurren einer Katze waren die Laute in der Bar nur noch ein Nebengeräusch für Allison. Ob das ein gutes Zeichen oder ein eher schlechtes war, wusste sie nicht ganz - vielleicht lag das an ihren zwei Gläsern Bier intus oder daran, dass es nun mal immer Vor- und Nachteile gab.
Die beste Bar hatte sich Allison auf keinen Fall ausgesucht: Die dunkelroten Ledersitze waren fast alle aufgeplatzt, die Theke war dreckig und der Bartender hatte jede Frau über 19 mindestens zwei mal schon angesprochen. In der Ecke sah sie ab und an eine Pfeife glimmern und es roch nach billigen Zigaretten. Doch sie war alles schon gewöhnt, musste schließlich ihre Nächte in den billigsten Motels und teils auch ihrem geliebten Auto verbringen - das Leben war nunmal nicht immer leicht. Schade nur, dass sich Allison dieses Leben nicht ausgesucht hatte. Sie wurde in das Jäger-Leben hineingeboren, es war eine vorangehende Tradition ihrer Familie. Und es war kein Jäger, der morgens um 6 auf Jagd ging, um Hirsche und Füchse zu erledigen, nein. Es war ein Jäger, der nachts um 9 durch die Gassen von Miami schlich, um den nächsten Dämon aufzuspüren.
Okay, schlechtes Beispiel, Dämonen gab es nämlich kaum mehr, die letzten Monate hatte sie nur 2 oder 3 Fälle hier in ganz Florida gehabt, und das sagte auf jeden Fall was aus, da Miami noch ein ganz gutes Plätzchen für die schwarzäugigen Mistviecher war. Bald aber hoffentlich nicht mehr, sobald Allison sich zusammenreißt und nicht mehr jede Nacht trinkt.
Ein kalter Wind ließ sie kurz erzittern und sie drehte ihren Kopf. Ein junger Mann stand in der Tür, mit kurzen, dunklen Haaren und blauem Schal um den Hals gewickelt. Er sah noch recht nüchtern aus, also drehte sie sich wieder nach vorne und nahm einen kleinen Schluck aus dem wässrigen Bier vor ihr. Als der Mann sich allerdings neben sie setze und eine Jacky-Cola bestellte, sah sie ab und an zu ihm rüber. Sie konnte nicht wirklich viel sehen, da es rauchig in der Bar war und ihre Sicht dank ihren trockenen Augen (und eventuell auch dem Bier) verschwommen war, sah seine zum Glück braunen Augen aber im Licht aufblitzen und wandte sich dann wieder ihrem Bier zu.

„Kommt sofort“, brummte der Barmann. Und tatsächlich stellte er die schwarze Flüssigkeit kurz darauf auf die Theke… mit Eiswürfeln. Nick entwich ein leises Seufzen. Das konnte ja wohl nicht so schwer sein, keine Eiswürfel in ein Glas zu schütten. War ja nicht so, dass die da unten am Boden festgewachsen waren. Und obwohl es ihn tierisch nervte, holte er den Kerl hinter der Bar nicht wieder zurück. Er hatte Besseres zu tun als sich auf sinnlose Diskussionen einzulassen.
Unter den Blicken der Frau neben ihm fischte er die Eiswürfel einfach aus dem Glas und ließ sie auf den Boden fallen. Durch die Geräusche der Bar hörte man das nicht einmal. Ob nun später jemand auf den glitschigen Dingern oder dem Endprodukt - Wasserpfütze - ausrutschte, konnte ihm wirklich herzlich egal sein. Als ob er etwas auf die Gesundheit von Menschen gab. Naja… sein eigenes Menschlein war ihm schon ganz wichtig. Deswegen trieb er auch immer noch Sport. Er wollte keinen armseligen Körper besitzen. Nick war schon so lange auf der Erde, dass ihm Aussehen tatsächlich etwas bedeutete. Der Dame neben ihm offenbar auch, denn die starrte teilweise ganz schön ungeniert.
„Wenn du noch länger glotzt, wirst du Eintritt bezahlen müssen. Ich bin kein Tier hinter einer Glaswand, das man anstarren kann, kapiert?“, sagte er nicht einmal unfreundlich. Herzlich war seine Stimme trotzdem nicht. Er wollte seine Ruhe haben. Er hatte sich nur neben die Brünette gesetzt, weil sonst kein Platz mehr an der Theke frei gewesen war. Allerdings war sie ja zumindest recht nett anzusehen, weswegen er noch etwas hinzufügte: „Wir könnten aber auch einen Deal abschließen. Du siehst mich an, dafür darf ich dich aber genauso anstarren.“
Ein kleines Grinsen huschte über seine Lippen, als sein Blick auf das Bierglas fiel. Bestimmt nicht ihr erstes. Mit der Zeit lernte man, in den Augen der Menschen zu lesen… und der Alkoholpegel spiegelte sich oft in einem Blick wider.

Allison war eigentlich nie jemand, der seine Nase in die Dinge anderer steckte. Sie selbst würde es nicht wollen, dass jemand sie anglotzte, deswegen tat sie es bei anderen auch selten. Aber sie war in einer Bar um - wie viel Uhr war es? - und hatte ihr zweites Bierglas schon fast leer getrunken, und der Mann neben ihr verhielt sich wirklich etwas komisch. Er kam angenervt in eine Bar hinein, wieso auch immer (denn Spaß würde er mit so einer Miene auf jeden Fall nicht haben), bestellte sich eine Jacky-Cola und fischte jetzt die Eiswürfel aus dem Glas heraus. Hatte er nicht einfach sagen können, dass er eine Cola ohne Eis wollte? ... Naja, vielleicht hat er das auch und Allison war zu fokussiert auf den scheiß blauen Schal, den er schon etwas länger abgezogen hatte.
Allison erschrak etwas, als er seine Stimme erhob, und gab ihr bestes, einigermaßen zu zu hören - er war ziemlich unhöflich. Aber okay, war sie auch gewesen, also war sein Verhalten nur fair. Sie hob ihre Augenbrauen, belies es bei dieser Geste und drehte ihren Kopf weg.
Als der Mann dann allerdings von einem Deal sprach, drehte sie sich wieder zu ihm, ein Mundwinkel angehoben. "Und wer als erstes blinzelt, verliert? Was sind wir, fünfjährige Kinder?", grinste sie und lehnte sich an die Theke. Ihre Gedanken schweiften leicht ab und sie musste leise lachen bei dem Bild von Medusa, wie sie jeden zu Stein verwandeln konnte mit nur einem Blick - wie auch immer sie darauf kam. Der Alkohol machte sich leicht bemerkbar, doch Allison hob nur die Hand, um den Barmann zu sich zu rufen, und bestellte ein weiteres Bier.
Einmal musste man sich ja ein bisschen Spaß erlauben.

Beinahe hatte er die Befürchtung, sie würde nun die ganze Zeit über wegsehen und ihn ignorieren. Das würde ihn schon ganz schön in seinem Stolz verletzen, wenn er ehrlich sein durfte. Vielleicht sollte er seine Selbstverliebtheit ohnehin mal ein bisschen zurückschrauben. Immerhin hatten selbstverliebtes Verhalten und die Überschätzung seiner eigenen Fähigkeiten bereits vielen seiner Artgenossen das Leben gekostet. Zum Glück veranlasste ihn die Dame neben ihm nicht dazu irgendwelche Dummheiten zu begehen, denn sie sah ihn ja schließlich doch wieder an, was ihr ein weiteres Grinsen seinerseits einbrachte.
‚Und wer als erstes blinzelt, verliert? Was sind wir, fünfjährige Kinder?‘
Diesen Vorschlag fand Nick gar nicht mal so übel. Außerdem fand er das Lachen, das seiner Sitznachbarin entwicht, ziemlich amüsant. Was? Er war mittlerweile aus dem Alter draußen, in dem er jeden Menschen einfach nur noch abschlachten wollte. Es gab weitaus angenehmere Beschäftigungen.
„Hm. Was bekomme ich, wenn ich gewinne?“, fragte er und drehte sich auf dem Barhocker ein wenig in ihre Richtung. „Oder sag nichts… ich darf mir was aussuchen. Andersrum funktioniert das natürlich auch… Alles, was du willst.“ Sich ein weiteres Grinsen verkneifend nahm er einen Schluck von seinem Getränk.
Teilweise war es frustrierend, sich gar nicht richtig betrinken zu können. Immerhin war das nicht sein richtiger Körper. Während der liebe David, der immer noch zusammen mit ihm hier fest saß, schon längst unter dem Tisch liegen würde, könnte Nicolas noch etliche Drinks weiter kippen. Dämonen waren einfach standhafter… nicht nur in dieser Hinsicht.